Brief 6 – Geplatzte Lebens(t)räume

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„Erfolgreich scheitern!“ – Das lese ich regelmäßig im Netz. Ich könnte fast glauben, es ist kein Tabu mehr. Darf ich offen und ehrlich versagen? Ist es anerkannt zuzugeben, dass man nicht mehr weiterkommt – ganz persönlich, in der Beziehung oder im Job?

Ich zweifle. Der Spruch „Erfolgreich scheitern!“ klingt eher wie ein Spruch der „Leistungsgesellschaft“. Stichwort Selbstoptimierung. Die Krise ist Chance, und aus Fehlern muss man lernen. Wer Erfolg hat, ist auch mal gescheitert, heißt es. Nur wenn man das so einfach dahersagt, klingt das banal. So einfach ist es nicht.
Es gibt Erfahrungen, die sind einfach schmerzhaft und können massiv belasten.

Wenn ich den Job verliere. Wenn wir als Paar keinen passenden Ort und Raum zum Leben finden. Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Manch ein Mensch fühlt sich trotz Beziehung allein. Wenn Wünsche, Sehnsüchte oder schlicht Hobbys nicht gemeinsam geteilt und genossen werden können. Wenn eine Beziehung in die Brüche geht. Solche Brüche und geplatzten Lebensträume sind eben auch ein Teil unseres Lebens. Auch wenn wir das oft nicht wahrhaben wollen. So betrachtet gehört Scheitern einfach dazu. „FuckUp Nights“ zeigen genau das. Da wird darüber gesprochen, was im (Berufs)Leben alles „schiefgelaufen“ ist. Heilsam kann es sein, zu erfahren, dass auch die Träume anderer Menschen platzen.

Das ist eine Seite. Eine bittere. Aber es gibt auch noch eine andere Sichtweise: Ich kann erfahren, dass ich an etwas Spaß und Freude habe, dass ich mit Begeisterung und Leidenschaft an etwas arbeite, dass ich übe und trainiere – aber am Ende doch mein Ziel verpasse.

Wie schlimm ist es denn, das Ziel nicht zu erreichen, wenn die Zeit bis dahin gut war?

Der Weg und die Richtung haben einen eigenen Wert, unabhängig vom Ergebnis. Das ermutigt mich weiterzumachen, wenn etwas schiefgeht – aber vielleicht anders.

Wenn Lebensträume platzen oder die Probleme mir schlicht über den Kopf wachsen, kann das ein Gefühl von „Scheitern“ in mir auslösen. Aber es bedeutet nicht zwingend einen endgültigen Zusammenbruch.

Zum Beispiel bei Paaren, die in einer richtig dicken Krise nicht aufhören, sondern gemeinsam dranbleiben. Vielleicht, weil eine Therapie angefangen wird. Oder wenn das Paar nach einem Treuebruch im Kontakt bleibt, miteinander ehrlich und respektvoll spricht und am Ende eine neue gemeinsame Basis findet und sie zusammen „anders“ weitermachen können. Wer sich in Krisen versöhnen kann, um neu zu beginnen, ist wirklich gesegnet. Aber auch wenn es nach langem Ringen zu einer Trennung kommt, kann es gelingen, am Anderen nicht zu verbittern und alles zu entwerten, was gewesen ist.

So ähnlich wie „Kintsugi“. Das kommt aus Japan und meint die Reparatur von zerbrochenem Keramikgeschirr. Die Scherben werden zusammengesetzt und neu verbunden. Und zwar mit einem Stoff, in den Goldstaub gemischt ist. Die Bruchstellen werden also nicht versteckt. Im Gegenteil: Das Gold bringt sie zum Leuchten. So zu reparieren ist eine echte Kunst. Und was repariert wurde, wird dadurch besonders und einmalig.
In der Karwoche wurde Jesus zum Tod verurteilt, ausgepeitscht und brutal hingerichtet. Ein zerstörtes Leben. Eine gescheiterte Existenz?

Doch auf die Karwoche folgt Ostern. Der Tod ist nicht das letzte Wort. Jesus hat das Leid und den Tod überwunden. Er ist verwandelt – und doch sind seine Wundmale noch da. Sie bleiben und haben doch ihre dunkle Macht verloren. Sie werden sogar zum Erkennungszeichen für seine Jünger, wenn Jesus sie ihnen zeigt und zugleich sagt: „Der Friede sei mit euch!“

Brüche sind heftig. Doch für mich steckt Hoffnung darin.

Jonathan Kienast

“There is a crack in everything. That’s how the light gets in.”

„Da ist ein Riss in allem. So kommt das Licht hinein.“

Leonard Cohen, Anthem

Leonard Cohen - Anthem (Live in London)

  • Was kommt euch in den Sinn, wenn ihr an „Scheitern“ denkt?
    Sprecht darüber miteinander.

In der Männerarbeit höre ich oft den Satz „Ein Mann muss stark sein!“. Wie erlebt ihr das? Verdrängen Männer eher Momente von Scheitern und schmerzvolle Erfahrungen? In der Männerarbeit zeigen sich Männer untereinander ganz bewusst mit ihren Verletzungen. Sie entdecken Vorbilder, wie man mutig und mit Würde zu den eigenen Brüchen stehen kann. Kennt ihr Menschen, die offen mit ihren geplatzten Lebensträumen und ihren Brüchen umgehen und dazu stehen? Wer ist es?

Gibt es Rituale, die euch helfen, gut mit Brüchen umzugehen und zu ihnen zu stehen? Beispiel: Ihr könnt die eigenen Erfahrungen mit Scheitern oder Brüchen aufschreiben und dann ganz bewusst in einem Feuer verbrennen. Die Asche lässt sich anschließend auch als Dünger zum Beispiel für eine Pflanze benutzen. „Loslassen und weitergehen.“

Tipps:

  • Habt ihr Lust auf eine spirituelle Vertiefung zum Thema des Briefes? Die bekommt ihr hier!
  • Erst später zur Aktion dazu gestoßen? Hier sind die bisherigen Briefe: Brief 1 | Brief 2 | Brief 3 | Brief 4 | Brief 5 |
  • Ihr könnt euch hier auch während der laufenden Aktion noch anmelden und die Briefe per SMS oder Mail zugeschickt bekommen.

Bildquelle: Schale: iStock © riya-takahashi